Der Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz ist verfassungswidrig. Dies hat der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz im Dezember in Koblenz entschieden. Die kreisfreie Stadt Pirmasens und der Landkreis Kaiserslautern – sie gehören zu den höchsten verschuldeten Kommunen – hatten stellvertretend für die kommunale Familie gegen die Schlüsselzuweisungen der Jahre 2014 und 2015 geklagt. Das Urteil strahlt eine Signalwirkung für die Situation der kommunalen Haushalte und die Finanzbeziehungen zwischen Kommunen und ihren Ländern aus. Nach einer ersten Analyse des 52-seitigen Urteils kommen Oberbürgermeister Markus Zwick und Landrat Ralf Leßmeister zu folgendem Schluss: „Wir sind sehr erleichtert über unseren Sieg vor dem Verfassungsgerichtshof. Das Grundsatzurteil zeigt dem Land Rheinland- Pfalz den dringenden Handlungsbedarf auf, der in Sachen Finanzausgleich in unserem Bundesland besteht. Das Urteil stößt außerdem ein gerechteres, weil bedarfsgerechtes, System des Kommunalen Finanzausgleichs an, wonach die Kommunen ihre Pflichtaufgaben künftig finanzieren können müssen und ihnen zusätzlich ein Spielraum für freiwillige Aufgaben verbleibt.“
Allerdings löst das VGH-Urteil folgende Probleme nicht: Erstens verhilft das Urteil den klagenden Kommunen Pirmasens und Kreis Kaiserslautern allenfalls mit zeitlichem Verzug und nicht sofort zu ihrem subjektiven Recht auf kommunale Selbstbestimmung. Auch wenn die Verfassungswidrigkeit des Kommunalen Finanzausgleichs nun höchstrichterlich seit 2007 festgestellt ist, können die zugrunde liegenden Regelungen sogar noch bis 31.12.2022 Anwendung finden. Die Verfassungswidrigkeit dauert also einstweilen fort. Berechtigte Sorge besteht mit Blick in die Vergangenheit, ob der KFA tatsächlich ab 2023 vom Land aufgabenangemessen ausgestattet wird. Zum zweiten fehlt eine verbindliche Festlegung, wie mit den Folgen der jahrelangen Verfassungswidrigkeit, also der hohen Verschuldung von Stadt Pirmasens und Kreis Kaiserslautern umzugehen ist. Stadt und Kreis danken selbstverständlich dem Verfassungsgerichtshof für den Hinweis, dass ohne Entschuldung auch eine Umstellung des Finanzausgleichssystems die Situation nicht zum Besseren wenden vermag. Nicht abschließend geklärt ist aber damit die Frage, ob die künftige Höhe der Finanzausgleichsmasse auch die Schuldenlast der Kommunen zu berücksichtigen hat. Zum Dritten gibt der VGH den bisher vertretenen Grundsatz, dass der Anspruch der Kommunen gegen das Land auf finanzielle Mindestausstattung unter dem Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes steht, nicht vollständig auf. Das Bundesverwaltungsgericht vertritt demgegenüber die Auffassung, dass Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz die Selbstverwaltung in ihrem Kernbereich absolut schützt und dass dies auch deren finanzielle Voraussetzungen umfasst. Der Landesgesetzgeber könne somit eine strukturelle Unterfinanzierung der Gemeinden nicht mit dem Hinweis darauf rechtfertigen, dass auch die Haushaltslage des Landes notleidend sei. Der Mindestbedarf der Kommunen stelle vielmehr einen abwägungsfesten Mindestposten im öffentlichen Finanzwesen des jeweiligen Landes dar. Die Auslegung von Artikel 49 Absatz 6 Landesverfassung durch den Verfassungsgerichtshof bleibt somit hinter der Auslegung des Artikel 28 Absatz 2 Grundgesetz hinsichtlich der absolut geschützten finanziellen Mindestausstattung durch das Bundesverwaltungsgericht zurück. Bislang hat das Bundesverfassungsgericht zu dieser Frage noch nicht Stellung bezogen. In seinem Beschluss vom 7. Juli 2020 führt es aus, es sei noch ungeklärt, „ob eine angemessene Finanzausstattung oder jedenfalls eine finanzielle Mindestausstattung Teil der kommunalen Finanzhoheit ist“.
Die von der Stadt Pirmasens und dem Kreis Kaiserslautern eingereichte Kommunalverfassungsbeschwerde bietet die Chance, eine einheitliche Auslegung des Inhalts der verfassungsrechtlichen Finanzgarantien im Grundgesetz und in der Landesverfassung zu erreichen. „Dies wäre nicht zuletzt mit Blick auf den nun neu zu regelnden Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz von Bedeutung“, ergänzt Landrat Ralf Leßmeister. Bestätigt das Bundesverfassungsgericht, dass die Mindestfinanzausstattungsgarantie nicht unter dem Vorbehalt der Leistungsfähigkeit des Landes steht, so kommt eine Unterschreitung der grundsätzlich zu gewährenden finanziellen Mindestausstattung auch in Ausnahmesituationen nicht in Betracht, in denen die Finanzlage des Landes erheblich beeinträchtigt ist.
„Dies ist nicht zuletzt mit Blick auf den Landeshaushalt mit neuen Corona-Schulden von Bedeutung“, so Zwick und Leßmeister übereinstimmend. Da für die anstehenden Verhandlungen mit dem Land über einen künftigen bedarfsorientierten Finanzausgleich diese Frage von geradezu entscheidender Bedeutung ist, kommt der beim Bundesverfassungsgericht anhängigen Klage nunmehr eine größere Bedeutung zu. Oberbürgermeister Markus Zwick und Landrat Ralf Leßmeister sehen es deshalb als notwendig und sinnvoll an, die beim Verfassungsgerichtshof offen gebliebenen beziehungsweise nicht abschließend geklärten Fragen möglichst zeitnah beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zu klären. Die beiden Verwaltungschefs haben angekündigt, dass entsprechende Schriftsätze zur Fortsetzung des Verfahrens in den kommenden Wochen dem Bundesverfassungsgericht zugeleitet werden.