Bewohner der Caritas-Wohngruppen können nicht mehr in die Werkstätten für Menschen mit Behinderung gehen – Tagesstruktur und Kreativität gefordert
Was tun, wenn die gewohnte Tagesstruktur ausgehebelt ist, und Einschränkungen das Leben auf den Kopf stellen? In den beiden Landstuhler Wohngruppen für Menschen mit Beeinträchtigungen des Caritas-Förderzentrums Paul Josef Nardini lässt man sich einiges einfallen, um den Bewohnern die Zeit des Ausnahmezustands so angenehm wie möglich zu machen.
Länger schlafen und das nicht nur am Wochenende. Das genießen die 17 Bewohner von St. Elisabeth in der Römerstraße. Denn für die meisten von ihnen ist an Werktagen die Nacht normalerweise um sechs Uhr morgens zu Ende. Dann klingelt sie der Wecker aus den Federn, und im Haus herrscht rege Betriebsamkeit. Trödeln gibt‘s nicht, denn nach dem Frühstück wartet schon der Bus, der alle, die einer Beschäftigung nachgehen, zu den Werkstätten bringt. Dort hat jeder bis zum Feierabend etwas zu tun. Damit ist seit dem 18. März Schluss. Die Werkstätten sind aufgrund der Corona-Krise geschlossen. „Das ist für alle eine große Umstellung und bringt neben angenehmen Begleiterscheinungen auch Probleme mit sich“, sagt Melanie Müller, Bereichsleiterin Fördern und Betreuen für das Caritas-Förderzentrum Paul Josef Nardini. „Denn wenn die vertraute Tagesstruktur plötzlich wegfällt, bleibt viel freie Zeit, die gefüllt werden will. Das ist nicht ganz einfach, da es kaum noch externe Angebote gibt. Dazu kommt, dass auch keine Besucher mehr zugelassen sind, da unsere Kunden zur Risikogruppe gehören.“
Folglich ist für die Bewohner der Bewegungsradius merklich geschrumpft. Das meiste spielt sich im Haus ab, wenn das Wetter es zulässt, wird der dazugehörige Außenbereich genutzt. Einschränkungen, die nicht jeder nachvollziehen kann, auch wenn das Thema Corona präsent ist. „Die Mitarbeitenden erklären immer wieder, was es damit auf sich hat. Aber aufgrund der Beeinträchtigung können manche es nicht wirklich verstehen und sehen nur das, was sie an den Reglementierungen stört“, so Müller. Zum Glück sei niemand an dem Virus erkrankt, sodass weiter greifende Maßnahmen erspart bleiben.
„Wir versuchen, den Alltag so gut wie möglich zu gestalten, den Menschen die Angst zu nehmen und ihnen Sicherheit zu vermitteln“, sagt Jutta Michel, Mitarbeiterin in St. Elisabeth. Nach dem Frühstück, das jetzt später stattfindet, stehen wechselnde Angebote aus dem Programm. Gesellschaftsspiele sind beliebt, aber auch Basteln wird gern angenommen. Dann geht’s mit farbigem Bastelkarton, Buntstiften, Schere und Kleber ans Werk. Das Ergebnis sind fröhliche Osterkarten für all die Lieben, die man jetzt nicht persönlich sehen kann. Eigens zum Fest werden zudem Dekorationen aus Salzteig gefertigt. Damit die Angehörigen wissen, dass es allen gut geht, werden jede Woche Briefe geschrieben und Fotos gemacht. Wer frische Luft schnappen und dabei den Ausblick genießen will, ist auf der überdachten Loggia am richtigen Platz. Dort steht auch ein Grill, der in Betrieb geht, sobald die Temperaturen steigen. „Außerdem haben wir jetzt Bälle und Bänder bestellt, um Gymnastik zu betreiben“, sagt Melanie Müller. Denn für Abwechslung soll gesorgt werden, um Langeweile so schnell keine Chance zu geben. Und Gruppenleiterin Kerstin Bettin versichert: „Trotz der schweren Zeit lassen wir uns Teamgeist, Zusammenhalt und Humor nicht nehmen.“
Das hat man sich auch im Haus St. Martin in der Königstraße auf die Fahne geschrieben. Einige der 23 Bewohner sind schon in Rente und haben ihre eigene Tagesstruktur. „Für sie spielt es keine Rolle, dass der Betrieb in den Werkstätten und Tagesförderstätten ausgesetzt ist. Vielen, die dort beschäftigt sind, fehlt allerdings der gewohnte Ablauf. Manche fragen immer wieder nach, wann sie an ihren Arbeitsplatz zurückkehren können. Dass es darauf keine konkrete Antwort gibt, weil niemand weiß, wie es nach dem 20. April weitergeht, erschwert die Sache. Denn nicht jeder kann den Ernst der Lage nachvollziehen“, schildert die Bereichsleiterin. Trotz allem sei die Stimmung noch gut. Nicht zuletzt, weil man auch hier versuche, für Ablenkung zu sorgen. Mit Indoor-Kegeln, gemeinsamen Essensvorbereitungen, Kartenspielen und anderen Angeboten.
„Anfangs war es wichtig, die Gruppen klein zu fassen, um das Risiko einer Ansteckung zu minimieren. In dieser Hinsicht ist es günstig, dass es in beiden Häusern nur Einzelzimmer gibt, in die sich Bewohner auch mal zurückziehen. Aber mittlerweile hat sich gezeigt, dass niemand mit dem Corona-Virus infiziert ist“, sagt Melanie Müller und hofft, das es dabei bleibt. Vorsorglich seien Schutzausrüstungen vorhanden, deren Bestand regelmäßig vom Caritas-Krisenstab in Speyer abgefragt werde.
Text: Friederike Jung
Bild: view
Bildunterschrift: Der Neubau hat eine schöne Außenanlage, die bei dem schönen Wetter mitgenutzt werden kann. Besucher dürfen derzeit aber keine mehr kommen.