„Der kaukasische Kreidekreis“

Wahrscheinlich hat jeder bei dem Wort Brechttheater irgendwelche Assoziationen. Regt zum Nachdenken an. Anstrengend. Spannend. Belehrend. Beeindruckend.

Für den „Goethe des 20. Jahrhunderts“ war seine Rolle einfach. Er hat Vorschläge gemacht und jeder kann selbst entscheiden, was er daraus zieht. So einfach ist auch die Geschichte seines Stücks „Der kaukasische Kreidekreis“ erzählt. Zwei Frauen streiten um ein Kind.

Doch genau wie seine Intention beim Theatermachen, ist auch dieses Stück sehr viel vielschichtiger und im zweiten darüber Nachdenken schon nicht mehr nur in einem Satz erklärbar. So dauerte der Abend mit dem Theater Koblenz auch drei Stunden und das schon dank der Strichfassung, die von über 200 Seiten auf 50 runterkürzte. Lang wurde es trotzdem nicht.

Nach alter Brechtmanier gab es keinen, die Bühne abschließenden Vorhang beim Betreten des Zuschauerraums. Eine so genannte Brechtgardine „trennte“ die Bühne vom Publikum. Trennen ist aber zu viel gesagt, denn was da hing ist eine große fast durchsichtige Plastikplane, ca. drei Meter hoch und weder über die ganze Länge der Fläche gezogen, noch so, dass davon irgendwelche Schauspieler verdeckt gewesen wären. Schon bei Einlass liefen diese entspannt vor, hinter oder neben dem „Vorhang“ über die Bühne. Es ist eine symbolische Darstellung von Brecht, um von Anfang an nicht zu vergessen, dass man in einem Theater sitzt.

Und so entstand auch über den Rest der Zeit keinerlei Illusion. Der Bühnenraum war offen, zu allen Seiten sah man die nackten Wände. Kulisse gab es keine, nur die Plane, die über den ersten Teil des Stücks ausgebreitet auf dem Boden lag und eine Art Spielfläche darstellte. Außerdem standen Stühle im hinteren Bereich der Bühne, auf denen die zehn Schauspieler, solange sie nicht dran waren, sitzen und sich umziehen konnten. Denn wie es ebenfalls bei Brecht üblich ist, wurde den Schauspielern einiges abverlangt. Zehn Menschen spielten 50 Rollen. Umzüge wurden auf offener Bühne vollzogen. Eine neue Jacke, Hut auf und schon stand dort eine andere Person. Besonders diese Leistung des Ensembles lobten befragte Zuschauen nach der Vorstellung.

Immer wieder tauchten musikalische Elemente auf, ein wichtiges Thema in Brechtstücken. Neben Rhythmusspielereien auf der Bühne, begleitete eine dreiköpfige Band den Sänger des Abends, der erklärend und berichtend, aber auch mitspielend, als regelmäßig wiederkehrende Struktur die Handlung unterstützte. Durch die wunderbare Umsetzung der Menschen auf der Bühne, konnten sich auch die Menschen im Zuschauerraum nie entspannt zurücklehnen. Regelmäßig wurde man zum Mitmachen aufgefordert. Zum Mitdenken, sogar zum Antwort geben. Und war es mal nicht so deutlich, riss die Spielart der Schauspieler, der Wechsel in Dynamik und Sprechtempo sowie Übertreibungen in Darstellung und Artikulation aus der Illusion. Die Realisierung im Theater zu sitzen wurde zu keinem Zeitpunkt vernachlässigt.

So ließ einem das Stück den Raum mitzudenken, gleichzeitig amüsierte es die Zuschauer aber auch und hielt so die Waage zwischen emotionalem Mitfühlen und kritischem Auseinandersetzen. Ganz so wie sich Brecht seine Entwicklung einer Zuschauerkunst, gleichbedeutend der Schauspielkunst, vorgestellt hat. Ein Brechtabend wie man ihn sich mit all seinen Facetten wünscht. Und mit der passend rund gewählten Applausaufstellung der Schauspieler, schloss sich an diesem Abend der Kreis.

Text: Selina Kuntz